Samstag, 19. März 2022

Theater der anorganischen Engel

„Der Klang der Offenbarung des Göttlichen“, gespielt von den Wiener Symphonikern, gesungen vom Chorus sine nomine, führt in die isländische Natur.

Man kennt das vom „Ring des Nibelungen“: Alles ist harmonisch und friedlich, bevor Liebe und Leid, Geld und Gier, Not und Neid in die Welt treten. Bevor das göttlich-menschliche Drama beginnt. In diesem Sinn ist Kjartan Sveinssons Komposition „Der Klang der Offenbarung des Göttlichen“, ohne Schauspieler inszeniert von Ragnar Kjartansson, erstmals aufgeführt 2014 an der Berliner Volksbühne, ein prädramatisches Stück.

Oder ein postdramatisches? Schildert es eine Welt, aus der der Mensch schon wieder verschwunden ist? Oder gar alles tierische Leben? Aber wem wird dann das im Titel angesprochene Göttliche offenbart?

Kein menschliches Drama
Darüber ließ es sich gut grübeln im Volkstheater, zu dieser so schlichten wie erhabenen Musik, die, wenn auch nicht wie der „Rheingold“-Beginn strikt in Es-Dur, so doch harmonisch recht beharrlich ist, die stets im gemessenen Tempo bleibt, in der sich kein menschliches Drama hören lässt.

Nur mitunter die leidenschaftslose Gewalt der unbelebten Natur: Wenn im ersten von vier Teilen die Wogen – dargestellt von wallenden weißen Tüchern – höher schlagen, dann liefert der im ersten Rang postierte Schlagwerker das Zischen dazu. Im zweiten Teil sieht man Wald, in dem leise Schnee rieselt, dazu singt der Chor ein seltsames Klagelied: „Voll Würde hat der Tod dich mir entrückt, ich weine eine Träne, bin beglückt.“ Denn der Tod, heißt es, hält den Verstorbenen ewig jung.
Im dritten Teil sieht man brennendes Holz vor Felsen, dazu kündet das Lied vom „Ende der eisigen Zeit“, von der „Fahne dieses zukünftigen Landes“ und einem „Stern ähnlich dir“: Frappant ist der Gegensatz zwischen dem doch emotionalen Text und der anorganischen Gelassenheit, der feierlichen Zeitlosigkeit der Musik. So bleibt sie auch im vierten Teil, in dessen Text es – vor dem Bild einer Höhle, aus der man auf ein Gebirge blickt – österlich wird. „Bald scheint die Sonne des Auferstehungstages“, hören wir, und schließlich, oft wiederholt, wie ein Resümee: „Und die Schönheit wird allein herrschen.“

Schönheit aus Feuer und Eis
Es ist eine strenge, kühle, statische Schönheit, deren Kommen hier prophezeit wird. Und es ist eine Schönheit der Natur. Der isländischen Natur, eine Schönheit aus Feuer und Eis. Von dieser träumt ja auch der Poet in Halldór Laxness‘ Roman „Weltlicht“, von dem dieses Stück inspiriert ist. Und wer Sigur Rós, die Band, in der Komponist Sveinsson spielt, kennt und schätzt, hört aus deren langen Postrock-Stücken ebendiese Natur, auch und gerade wenn er gar noch nie in Island war. Mag sein, dass just in diesen Tagen, in denen so viel menschlicher Schrecken und menschliches Leid die Nachrichten beherrschen, eine Kontemplation über das Außermenschliche heilsam wirkt, wenn nicht gar tröstlich.

Die Streicher der Wiener Symphoniker bewältigen die meist rein homophone, aber durch kleine raumzeitliche Verschiebungen – und die kurze Gesamtdauer (50 Minuten) – kaum öde Musik mit großer Konzentration; der Chorus sine nomine singt mit gebotener Kühle, völlig vibratofrei, man möchte fast sagen: engelsgleich. Wobei die Engel, die man dabei durchs Volkstheater ziehen spürt, ganz und gar keine üppigen Barockengel sind, sondern solche, die bequem zu Hauf auf der Spitze einer Eisnadel sitzen können. Man verzeihe die abermalige Wortwiederholung: anorganische Engel.