Mittwoch, 4. März 2020

Matthäuspassion

Daniel Johannsen strahlt als Evangelist in Bachs Matthäuspassion

„Aus Liebe will mein Heiland sterben“, verkündet die Sopranstimme in Bachs Matthäuspassion. Die ist eben so zum Sterben schön, wie die Stimme und der Vortrag des österreichischen Tenors Daniel Johannsen, der als Evangelist aus der Riege von ausgezeichneten Musikern nochmals ein wenig hervorsticht. Als Sohn eines protestantischen Pfarrers geboren, ist der junggebliebene Wiener, der regelmäßig Gast bei der J.S. Bach-Stiftung St. Gallen und beim Bachfest Leipzig ist, die herausragende Persönlichkeit im Musikverein Wien, wo man Montagabend mit großer Freude und Demut Bachs göttlicher Musik lauschen durfte.

Göttlich im wahrsten Sinne des Wortes. Von Johann Sebastian Bach zweiteilig angelegt, behandelt die Matthäuspassion nicht nur die „Vorgeschichte“ des Lebens Jesu Christi, sondern auch seine Gefangennahme, die Vernehmung und den eigentlichen Leidensweg – Tod, Kreuzabnahme und Grablegung inkludiert. Um diesen Leidensweg zu veranschaulichen, hat Bach, wie schon bei der Johannes-Passion drei Jahre zuvor, eine sogenannte „oratorische Passion“ verfasst. Dabei hat er Bibelworte, Choral-Strophen und freie lyrische Dichtungen herangezogen, um ein Werk zu konzipieren, dessen Wirkung rund 300 Jahre nach seiner Entstehung noch immer Göttliches erahnen lässt. Vor allem, wenn derart begnadete Musiker ans Werk gehen wie an diesem Abend.

Von Johannes Hiemetsberger bestens einstudiert und geprobt, kann sich der Chorus sine nomine ein weiteres Mal auszeichnen. Offiziell ein „Laienchor“, der 1991 von Hiemetsberger gegründet wurde, harmonieren die jungen Sänger und Sängerinnen in beeindruckender Weise. Traumhaft, wie der Chor, der in zwei Formationen – sowohl links als auch rechts auf der Bühne – platziert ist, in Wechselreden in den Dialog mit allen anderen tritt oder in den Chorälen gemeinsam singt.

Um ein Vielfaches vertieft wird die emotionale Wirkung der heiligen Worte durch die Begleitung des Orchesters. Dadurch entsteht eine Aura des Außergewöhnlichen, die sich im ganzen Musikverein bemerkbar macht. Kaum ein Störgeräusch ist zu vernehmen, wenn das Prisma Wien, das auf historischen Instrumenten musiziert, zu den zahlreichen harmonischen Höhenflügen ansetzt. Ebenfalls in zweifacher Formation geteilt – sowohl links als auch rechts auf der Bühne – zeichnen sich die Musiker durch den typischen historischen Klang aus, der vor allem in den Blasinstrumenten ständig so wirkt, als wäre er knapp vor dem Absturz.

Alles das, unter dem aufmerksamen Auge und Ohr des Evangelisten, der sich zu keiner Zeit aus diesem Vortrag verabschiedet. Selbst, wenn er das Wort nicht gerade an sich gerissen hat, sondern an Jesus, Judas oder Pilatus weitergibt, ist Daniel Johannsen im Geiste immer bei der Musik. Einen derart aufmerksamen Zuhörer und begnadeten Sänger, der beide Tenor-Arien selbst singt, erlebt man nicht alle Tage. So bemerkt und quittiert er mit einem sanften Lächeln im Gesicht, wenn Klemens Sander die bezaubernde Bariton-Arie „Mache dich, mein Herze, rein“ lyrisch deklamiert, Marian Dijkhuizen von Golgatha erzählt, dem Hügel außerhalb Jerusalems, auf dem laut Evangelien Jesus von Nazareth gekreuzigt wurde, und erlebt genauso intensiv wie das Publikum die Chor-Arie, mit der diese Passion in Ruhe endet.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 4. März 2020