Dienstag, 23. Mai 2017

Musik, farbig wie die Liebe und exotisches Vogelgezwitscher

Das ORF-RSO Wien mit Bruckner und Boulez: klug und souverän.
Von Walter Dobner
Gleich mehrfach war an diesem Abend des Konzerthaus-Zyklus „VokalKlang“ das Thema Stimme präsent. Da er zugleich Teil des heuer Pierre Boulez gewidmeten Musikfests der Wiener Konzerthausgesellschaft war, stand auch ein Boulez-Werk auf dem Programm: der Liebesliederzyklus „Le visage nuptial“. Dessen Abwechslungsreichtum und besondere Farbigkeit werden durch die Besetzung noch verstärkt: Sopran, Alt, Frauenstimmen, großes Orchester. Die höhensichere Yeree Suh, die ausdruckreiche Hilary Summers, die exzellent einstudierten Damen des MDR-Rundfunkchors und des Chorus sine nomine und das ebenso exakt aufspielende ORF-RSO-Orchester unter dem umsichtig koordinierenden Cornelius Meister waren ideale Interpreten.
Darauf eingestimmt wurde man durch Olivier Messiaens lächelnde Mozart-Hommage „Un Sourire“ für Orchester, die besonders von Mozarts Klarinettenquintett und dem Gesang des südafrikanischen Weißbrauenrötels inspiriert ist.
In Bruckners Motette „Christus factus est“ bewies der Chorus sine nomine, dass er zu den besten Vokalensembles des Landes zählt. Nicht ganz verständlich, weshalb nicht Chorleiter Johannes Hiemetsberger, der für die makellose Einstudierung gesorgt hatte, seine Choristen dirigierte. Den größten Eindruck hinterließ der Schlusspunkt: Antonín Dvořáks „Biblische Lieder“, vokal eindringlich (mit dem hervorragenden polnischen Bariton Artur Ruciński) und differenziert begleitet von dem sich auch klanglich von seiner besten Seite zeigenden Orchester – unter einem sich in dieser Musik hörbar zu Hause fühlenden Chefdirigenten.
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 23.05.2017)