Montag, 24. Januar 2011

The Marriage of Heaven and Hell

Der Wiener „Chorus sine nomine“ trat mit einem außergewöhnlichen Konzert im Burghof in Lörrach auf.

„Ruhn sie? Ruhn sie? Rufet das Horn des Wächters“ Mit Johannes Brahms´ „Nachtwache II“ als Zugabe endete am Samstag im Burghof das Konzert des ganz ausgezeichneten Wiener „Chorus sine nomine“ unter Johannes Hiemetsbergers Leitung. Der Kreis schloss sich, denn mit Brahms’ „Fest- und Gedenksprüche“ (op.109) hatte es, wenngleich etwas kurios, begonnen. Doch das war ein weiterer Beleg für „The marriage of heaven and hell“, wie die Wiener ihren Abend im Untertitel nannten. Sind Brahms’ drei Gesänge, offiziell ein Dank für die Verleihung der Ehrenbürgerschaft seiner Geburtststadt Hamburg, insgeheim eine Hommage auf den Reichsgründer Fürst Bismarck? Bezieht Brahms die Verse des 22. Psalms: „Unsre Väter hofften auf dich; und da sie hofften, halfst du ihnen aus“ wie die aus Lukas 11, 21 und 22: „Und wenn ein stark Gewappneter seinen Palast bewahrt, so bleibt das Seine mit Frieden…“ auf die politische Situation? Kann durchaus sein, denn Brahms war ein Verehrer Bismarcks; dass daraus nicht immer die beste Musik wird, wusste er selber und nannte die Stücke des folgenden Opus 110 „die besseren“. Von da war es ein weiter Sprung zu Per Norgards (*1932) „Wiigenlied“ (aus dem Zyklus: „Wie ein Kind“). Die Musik „thematisiert“ die Schizophrenie des Schweizer Malers und Dichters Adolf Wölfli, das heißt in die wortlos gewordene Sprache fallen Schreie und Klangstöße von elementarer Wucht. Jetzt gilt es, wie Norgard sagt, kompositorisch „das Chaos neu (zu) formen“, denn „die Geborgenheit meines strahlenden Universums ist zerstört.“ Fantastisch gesungen von den Wienern!
Danach Veljo Tormis´ (*1930) „Raua Needmine“, der „Fluch des Eisens“ für Soli (Martin Hofer und Malte Puls), Chor und schamanische Trommel (Ingrid Oberkanins) als tönende Parabel für das Erscheinen des Bösen in der Welt. Die Wörter laufen durch die Stimmen und in allen Varianten der Dynamik erprobt der Chor die Veränderung der Welt, zuletzt die Wörtersprache in Körpersprache verwandelnd. Virtuos gemacht!

Danach wiederum fast beseligende Ruhe erfüllter Frömmigkeit, klanglich festgemacht an der Klarheit der Soprane, in Samuel Barbers (1910-1981) „Agnus Dei“, einer von ihm selbst gefertigten Transkription seines „Adagio for strings“. Nach der Pause Clytus Gottwalds (*1925) Arrangement des 4. Liedes eines „fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler. „Die zwei blauen Augen von meinem Schatz,/ Die haben mich in die Welt geschickt…“ und Gottwald belässt die
ruhig fließende Melancholie des Heimatlosen, die die Wiener mit wacher Empfindsamkeit singen. Bo Holtens (*1948) Motette „Schall und Rauch und Rosenbusch“ für Soli und Chor a-cappella paraphrasiert in kühnen Harmonien, auch in exzessiven Höhen der Solistin (Barbara Achammer) und im Rollenspiel einen Text Hans Christian Andersens. Von da wieder in die fromme Ruhe der alten Antiphon aus der Gründonnerstagsliturgie „Ubi caritas et amor Deus ibi est…“, von Morton Lauridsen (*1943) als beinahe klassischer Chorsatz gesetzt, der Gregorianik imitiert; schöne Musik, hinleitend zu John Taveners (*1944) zwei Chorsätzen „The Lamb“ und „The Tiger“, spiritueller Musik, deren Dissonanzen andeuten, was das Lamm zu erleiden hat, letztlich aber doch in stiller Seligkeit siegt. Und wenn „The evening hangs beneath the moon…“ ist es Zeit, schlafen zu gehen. Eric Whitacres (*1970) „Sleep“ ist ein sanftes in den Schlaf Gleiten, von den Wienern als Gute-Nacht-Lied mit fantastischem Schlusspianissimo herrlich gesungen.